Die Chroniken vom Spratzerner Kirchenweg

// Die Anfänge

Die Geschichte unseres Kulturvereins beginnt im Jahr 1995. Auf Vermittlung der Stadt konnten sich junger Musiker:innen im Leerstand der ehemaligen Malerei Frostl einquartieren. Dort formierte sich das Kollektiv La Musique et Sun (LAMES). Zahlreiche audiovisuelle Veranstaltungen brachte diese hochproduktive Formation in den Folgejahren auf den Weg.

1999 musste die baufällige Immobilie allerdings aufgegeben werden. Die Suche nach neuen Räumlichkeiten führte die Subkultur-Pionier:innen schließlich auf das Areal am Spratzerner Kirchenweg 81-83. Unserem heutigen Vereinssitz!

// Der „Stadtdschungel“

Obgleich die Grünflächen damals beinahe undurchdringlich waren, erkannten die Künstler:innen um Andreas Fränzl und Markus Weidmann-Krieger das Potenzial des knapp 5 Hektar großen Areals: eine „Stadtdschungel-Industriebrache“ mit zwei Häusern bot die einzigartige Möglichkeit zum Aufbau eines Kulturbiotops, das es so in Österreich bis dahin noch nicht gegeben hatte. Ein kreativer Freiraum, an dem junge St. Pöltener:innen etwas erschaffen konnten.

// Musik & Party

Das Haus 83 wurde als Proberaum, Aufnahmeraum und als Partylocation („Schwarzer Raum“) genutzt. Die Protagonist:innen der lokalen freien Szene hatten endlich wieder einen eigenen Platz, an dem sie loslegen konnten. Bands wie die Vokal-Formation „Bauchklang“ sorgen sogar international für Furore und haben durch ihre Kontakte viele Top-Acts zu Auftritten an den Spratzerner Kirchenweg gelockt. 

Unter dem Titel „Reunion del Sol“ finden in der Folge auf dem Gelände erste größere Kunst-Feste statt. „Unschlagbar im Partymachen“ ist die junge Generation, wie es auch im Stadtmagazin City-Flyer bald heißen wird.

// Hausbrand und ziviler Widerstand

Das Jahr 2002 bringt in der Vereinshistorie einen herben Dämpfer mit sich: Bei den Vorbereitungen auf ein Fest bricht im Haus 83 aus ungeklärten Ursachen ein Feuer aus. Geistesgegenwärtig kann ein schlimmeres Unglück verhindert werden. 

Neben technischem Equipment fallen den Flammen nichtdestotrotz hunderte Platten, Filmmaterial und Malereien im Wert von mehreren zehntausend Euro zum Opfer. Von dem Schicksalsschlag lässt sich das unermüdliche Kollektiv jedoch nicht aus der Bahn werfen. In Eigenregie wird gemeinsam bei den Sanierungsarbeiten angepackt. Aus Platzmangel werden parallel dazu die ersten Orte im Grünraum geschaffen.

// Das Parque del Sol

2006 ist das Geburtsjahr des interdisziplinären Kunstsymposiums „Parque del Sol“, das Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Performances und Street Art thematisch aufeinander bezieht. Das künstlerische Format ist dabei partizipativ angelegt, ebenso die zeitgleich stattfindenden Workshops und Panels der „Free University“. Für die Entwicklung dieser progressiven Kulturkonzepte wird LAMES 2008 in der Kategorie „Volkskultur und Kulturinitiativen“ mit dem Niederösterreichischen Kulturpreis ausgezeichnet. Der Sonnenpark entwickelt sich mehr und mehr zum Hotspot der freien Szene in Niederösterreich.

// Das Sonnenparkfest

Das städtische Naherholungsgebiet steht derweil kurz vor seiner Veräußerung. Die Stadt trägt sich mit Plänen, auf dem Areal ein Wohngebiet zu errichten. 2011 bildet sich daraufhin die Bürger:innen-Initiative „St. Pölten braucht Park-Platz!“, aus dem kurz darauf der Verein „SONNENPARK – Park der Vielfalt“ hervorgeht. Mit dem „Sonnenparkfest“ sensibilisiert die Initiative viele Menschen für die Bedeutsamkeit des Grünraums. Über 2000 Menschen unterzeichnen handschriftlich erste Unterschriftenlisten. 2016 schließt sich der Verein mit Anwohner:innen und Einzelpersonen aus der Politik zur Plattform „Sonnenpark bleibt!“. Durch eine Petition, an der sich 2.500 St. Pöltener:innen beteiligen, kann der Verkauf des Geländes in letzter Minute abgewendet werden. Die Entscheidung ist gefallen: Die Vereine LAMES/SONNENPARK erhalten einen 10-jährigen Pachtvertrag, der ihre gemeinnützige Arbeit im kulturellen, ökologischen und sozialen Sinne anerkennt.

// Das Kreativ-Biotop

Auf juristisch gesichertem Boden florieren die Vereinstätigkeiten umso schneller. Gut eingeführte und genutzte Räume wie der „Kleidertauschraum“ bekommen Zuwachs aus der Sharing-Community mit einem offenen Kühlschrank (foodsharing st.pölten). 

Auch der Verein Sonnenpark intensivierte neben der kontinuierlichen und weitreichenden Planung und Gestaltung des Parks das Ökologie-Programm. Die Kultursparte wartet unterdessen mit bis zu 80 Veranstaltungen pro Jahr auf und erweitert sein Programm um das Open Air Kino, die Gemeinschaftskühe und diverse weitere Formate.

2021 erweitert sich der Sonnenpark auf baulicher Ebene zum Themenpark: Mit dem Klimaforschungslabor wird für Kindergärten und Schulgruppen zunächst ein „Klassenzimmer im Grünen“ geschaffen, um auf spielerische Weise naturkundliches Wissen zu vermitteln. Noch im selben Jahr übersiedelt das vom design-build studio der TU Wien unter Leitung von Peter Fattinger entworfene Mobile Stadtlabor an den Spratzerner Kirchenweg. Der beeindruckende Bau aus Schiffscontainern fungiert als Spielstätte und erzeugt durch seine multifunktionalen Nutzungsformen Workshops und Lectures eine ganz besondere Atmosphäre.

// Outstanding Artist Award

Die zukunftsweisenden Entwicklungen des Kreativ-Biotops werden zu diesem Zeitpunkt schon längst außerhalb der Grenzen der Landeshauptstadt bemerkt: 2021 zeichnet das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport die Vereine LAMES/SONNENPARK für ihre „herausragenden Leistungen“ mit dem Outstanding Artist Award aus. Um diese glückliche Symbiose organisatorisch weiter gedeihen zu lassen, entscheiden beide Vereine, sich zum „Solektiv“ zu verbinden: einem kulturellen Nahversorger, der Kunst und Ökologie programmatisch ins Zentrum seiner Aktivitäten rückt.

Zum Weiterlesen:

FM4 „Subkultur meets Nachhaltigkeit“ (07.07.2022)

morgen „Shakespeare in Jeans“ (12/2019)